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Argumentarium für die kantonale Volksinitiative «Für einen Mindestlohn im Wallis»

Achtung der Würde von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern

Der «Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte» (Zivilpakt) aus dem Jahr 1966 trat am 18. September 1992 auch in der Schweiz in Kraft. Der völkerrechtliche Vertrag sieht unter anderem die Verpflichtung vor, die allgemeine und konkrete Achtung der Menschenrechte und -freiheiten zu fördern, insbesondere im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte. Das bedeutet, dass die Rahmen­be­dingungen für ein Leben in Würde und ohne Überlebensängste für alle Menschen in unserem Land gewährleistet sein müssen. 30 Jahre später muss festgestellt werden, dass wir diese Verpflichtung nicht erfüllen. Tatsache ist, dass im Wallis zahlreiche Arbeitnehmer:innen in prekären Verhältnissen leben – obwohl sie einer bezahlten Arbeit nachgehen. Dies steht nicht im Einklang mit dem Zivilpakt. Es geht um Anstand gegenüber den Arbeitnehmer:innen, aber auch um deren Würde. Dieser Zustand muss korrigiert werden, und die prekären Arbeits­verhältnisse müssen unter anderem durch die Einführung eines kantonalen gesetzlichen Mindestlohns beseitigt werden.

Minimallohn von 22 Franken pro Stunde

Ein garantierter Stundenlohn von 22 Franken brutto ermöglicht es den Betroffenen einerseits, die symbolische Grenze von 4000 Franken pro Monat für eine Vollzeitstelle zu überschreiten, und ande­rerseits, der Armut knapp zu entkommen und sich ein menschenwürdiges Leben leisten zu können. Jeder niedrigere Stundenlohn belässt die Arbeitnehmer:innen in der Armutsfalle und macht sie immer wieder von Neuem von sogenannten bedarfsabhängigen Solzialleistungen abhängig, welche von den Steuer­zahler:innen getragen werden. Es ist auch eine Frage des Anstandes, den Min­deststundenlohn auf 22 Franken festzulegen.

Ausnahme: 18 Franken Stundenlohn in der Landwirtschaft

In unserem ländlich und landwirtschaftlich geprägten Kanton könnte es zu einer Destabilisierung der Wirtschaft kommen, wenn auch für den Bereich der Landwirtschaft ein Minderstlohn von 22 Franken pro Stunde vorgeschrieben würde. So sieht die Initiative für diesen Sektor eine Ausnahme von 18 Franken pro Stunde vor. Dieser Unterschied kann mit zwei Argumenten begründet werden: Einerseits sehen die Gesamt­arbeits­verträge für die in diesem Sektor tätigen Arbeiter:innen heute einen Stun­denlohn von 13.40 Franken pro Stunde vor, sodass der Übergang zu einem Mindeststundenlohn von 18 Franken bereits ein grosser Fortschritt für diese Arbeitnehmenden wäre; andererseits haben die Arbeite­r:innen in der Landwirtschaft insgesamt längere Arbeitszeiten als in anderen Branchen, was bedeutet, dass der Lohnunterschied auf Monats- oder Jahresbasis in etwa ausgeglichen wäre.

Eine Frage der Sozialpolitik, nicht der Wirtschaftspolitik

Bei der Initiative geht es um die Frage der Sozialpolitik, nicht der Wirtschaftspolitik. Berech­nungen mit verschiedenen Daten (durchschnittlicher Mietpreis, Höchstbetrag der Krankenkassenprämien usw.) zeigen, dass ein Mindestlohn von 22 Franken ein sozialpolitisches und nicht ein wirtschaftspolitisches Prinzip ist und daher innerhalb des Spielraums liegt, den das Bundesrecht für kantonale Mindestlöhne zulässt. Ziel ist es, den Lebensstandard von wenigverdienenden und armutsbetroffenen Arbeitneh­mer:innen zu verbessern und ihre Würde zu achten, anstatt sich auf eine Logik der Wirtschafts­regulierung einzulassen.

Mehr soziale Gerechtigkeit

Das Aufkommen der Lohnarbeit hat uns gelehrt, dass Arbeit das wichtigste Mittel ist, um Armut zu vermeiden. Daher ist es nicht hinnehmbar, dass eine bezahlte Beschäftigung nicht ausreicht, um sich vor diesen Risiken zu schützen. Es gibt jedoch nach wie vor Situationen, in denen die Lohnarbeit nicht ausreicht, um genügend vor Armut zu schützen. Die Einführung eines Mindestlohns würde es allen Arbeitnehmer:innen ermöglichen, genug zu verdienen, unabhängig von der Art der Arbeit und der geforderten Qua­lifikation. Dies ist ein Grundprinzip der sozialen Gerechtigkeit. Gemäss Bundesamt für Statistik (BFS) sind rund 1’400 beruflich integrierte Personen bei den Walliser Sozialdiensten gemeldet und müssen ergänzend zum Erwerbseinkommen unter­stützt werden. Da viele Menschen ihre Rechte nicht kennen oder sich aus Scham nicht bei den Sozialdiensten melden, ist die Zahl der Menschen, die in prekären Verhältnissen leben, wohl noch weit­aus höher. Darüber hinaus belegen die Zahlen des BFS, dass die Anzahl der gemeldeten Fälle im letzten Jahrzehnt gestiegen ist. Die am stärksten betrof­fenen Berei­che sind das Gastgewerbe, der Detailhandel, der Dienstleistungssektor und die Kunst.

Armut konsequent bekämpfen

Es ist erwiesen, dass ein niedriges Einkommen zwar nicht der einzige Risikofaktor ist, der zu prekären Ver­hältnissen führt. Auch das Leben in einem kinderreichen Haushalt oder das Leben als Alleinerzie­hende:r stellen ein erhöhtes Risiko dar, dennoch ist die Einführung eines Mindestlohns eine wichtige Grundvoraussetzung für die Be­kämpfung von Armut – neben anderen familienpolitischen Massnah­men zur Minderung des Risikos. Der Mindestlohn muss deshalb mit einer effektiven und gezielten Familienpolitik kom­biniert werden. Um die Prekarität einzudämmen, müssen beide Bereiche gemein­sam funktionieren. Dies würde das kollektive Wohlbefinden steigern.

Kampf gegen die Problematik der Working Poor

Im Wallis gibt es Menschen, die trotz Vollzeitarbeit weder ihren eigenen Lebensunterhalt noch den ihrer Familie bestreiten können. Die Rede ist von den Working Poor. Laut Bundesamt für Sozialver­sicherungen (BSV) machen die Working Poor in der Schweiz 60 % aller in Armut lebenden Personen im erwerbsfähigen Alter aus. Einige dieser Menschen wenden sich an die Sozialdienste, um finanzielle Unterstützung zur Ergänzung ihres Arbeitseinkommens zu erhalten, damit sie ein menschenwürdiges Leben führen können. Es ist aber ein Widerspruch, dass jemand, der einer Erwerbstätigkeit nachgeht, Sozialleistungen in Anspruch nehmen muss. Eigentlich sind diese Leistungen für bedürftige arbeitslose Personen bestimmt und nicht für beruflich integrierte Leute. Auch für die Sozialarbeiter:innen ist die Situation schwierig, wenn Working Poor von Sozialleistungen abhängig sind, ohne etwas an ihrer Situa­tion ändern zu können. Diese Absurdität könnte durch die Einführung eines Mindestlohns beseitigt werden.

Für eine Beteiligung der Bevölkerung an der lokalen Wirtschaft und eine Rückführung des Geldes in den Wirtschaftskreislauf

Die Einführung eines Mindestlohns würde es den am schlechtesten verdienenden Menschen ermögli­chen, stärker am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, was auch ihre Beteiligung an der lokalen Wirtschaft stärken würde. Wenn die Arbeitgeber:innen einen Mindestlohns bezahlen müssten, wirde dies auch dazu führen, dass mehr Geld in den Wirtschaftskreislauf zurückfliesst und nicht mehr kapitalisiert wird. Es ist nämlich erwiesen, dass die ersten Franken, die einer Person nach Abzug ihrer laufenden Ausgaben zur Verfügung stehen, unab­hängig von ihrem sozialen Status, am ehesten direkt in den lokalen Wirtschaftskreislauf fliessen, der dadurch gestärkt und dynamisiert wird.

Stärkung der Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer:innen

Ein Argument, das von den Gegner:innen der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns oft vorge­bracht wird, ist dasjenige des Lohndumpings. Sie befürchten, dass die Einführung eines Mindestlohns die Löhne nach unten drücken könnte, da sich die Arbeitgeber an den gesetzlichen Mindestrahmen halten würden. Die Erfahrungen in anderen Ländern zeigen jedoch das Gegenteil: Die Einführung eines Mindestlohns verleiht den Arbeitnehmern dort mehr Gewicht und eine stärkere Position bei den Lohn­verhandlungen, wodurch die Löhne tendenziell nach oben getrieben werden. Darüber hinaus muss klargestellt werden, dass ein Mindestlohn nicht an die Stelle von Gesamtarbeitsverträgen (GAV) tritt, wenn diese einen höheren Lohn garantieren.

Unlauteren Wettbewerb zwischen Unternehmen verhindern

Viele Unternehmer:innen und Vorgesetzte werden wahrscheinlich sagen: «Warum ein Mindestlohn, wenn ich meine Angestellten besser bezahle, als es in der Initiative vorgeschlagen wird?» Die Antwort ist einfach: Um deren Konkurrent:innen daran zu hindern, unlauteren Wettbewerb zu betreiben, indem diese ihre Ange­stellten unterbezahlen. Die Einführung eines Mindestlohns dient zwar in erster Linie den Arbeit­neh­mer:innen, ist aber auch ein Verbündeter der grossen Mehrheit der Arbeitge­ber:innen, die ihre Angestellten respektieren, indem sie diese fair entlöhnen.

Schutz der lokalen Unternehmen

Die Einführung eines Mindestlohns, der nicht nur für alle Unternehmen im Kanton gilt, sondern auch für auswärtige Unternehmen, die einen Auftrag auf Walliser Boden ausführen, hätte den positiven Effekt, unsere lokalen Unternehmen zu schützen. Die Konsument:innen von Waren und Dienstleistun­gen hätten keinen Anreiz mehr, auf auswärtige Unternehmen zurückzugreifen, die mit niedrigen Löhnen billiger arbeiten. Die Nachfrage würde sich natürlicherweise auf lokale Angebote richten.

Kampf gegen die Arbeitslosigkeit

Die Einführung eines Mindestlohns würde einen positiven Kreislauf auf lokaler Ebene in Gang setzen und die Gründung von lokalen Unternehmen und damit Arbeitsplätze schaffen, indem sie den am stärksten gefährdeten Personen ermöglicht, vermehrt am sozialen Leben und an der lokalen Wirt­schaft teilzunehmen. Ent­gegen dem Argument der Gegner:innen, ein Mindestlohn würde Arbeitslosig­keit schaffen, belegen Beispiele aus dem Ausland und aus anderen Kantonen, dass die Einführung eines Mindestlohns weit mehr Arbeitsplätze schafft als vernichtet. Denjenigen, die aufgrund der Einführung eines Mindestlohns um die Existenz und die Zukunft von Kleinunternehmen fürchten, entgegnen wir, dass diese Unternehmen gegebenenfalls durch staatliche Massnahmen unterstützt werden sollten.

Verhindern, dass der Kapitalismus von der Zivilgesellschaft gesponsert wird

Menschen mit niedrigem Einkommen erhalten häufig sogenannte bedarfsabhängige Sozialleistungen, die ihr Überleben sichern sollen. Diese Leistungen werden jedoch aus dem Steueraufkommen finan­ziert und gehen somit zu Lasten der Steuerzahler:innen. Der Transfer, der dadurch stattfindet, erfolgt also zugunsten der Arbeitgeber:innen und zu Lasten der Zivilgesellschaft. Ein Mindestlohn, der allen erwerbstätigen Menschen ein Leben ermöglicht, ohne von Sozialleistungen abhängig zu sein, wäre daher ein wirksames Mittel, um zu verhindern, dass die Reichsten von den Steuerzahler:innen gespon­sert werden.

Würdige Renten fördern

Viele Rentner:innen leben in prekären Verhältnissen, obwohl das Schweizer Rentensystem auf drei Säulen beruht. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die zweite Säule als Haupteinnahmequelle der Rentner:innen von Beiträgen abhängig ist, die stark vom damaligen Lohn als Arbeitnehmer:innen abhän­gen. Bei vielen Rentner:innen reichen die Beiträge nicht aus, damit sie im Ruhestand eine angemesse­ne Rente erhalten. Die Einführung eines Mindestlohns würde dazu beitragen, die Lebens­bedingungen dieser älteren Menschen zu verbessern und ihnen die Inanspruchnahme von Ergän­zungsleistungen zu ersparen, die von den Steuerzahler:innen finanziert werden.

Den Kampf der Frauen für Lohngleichheit unterstützen

Es ist wichtig, dafür zu sorgen, dass Frauen für gleiche Positionen und gleiche Qualifikationen genauso viel verdienen wie Männer. Ebenso wichtig ist es, zu bedenken, dass niedrig bezahlte Berufe sehr oft von Frauen ausgeübt werden, was die Lohnungleichheit zwischen Männern und Frauen insgesamt tendenziell erhöht. Die Einführung eines Mindestlohns würde mehrheitlich den Frauen zugutekom­men und wäre insgesamt Teil des Kampfes der Frauen für mehr Lohngleichheit.

Mehr Chancengleichheit für Kinder gewährleisten

Wichtige Mitbetroffene von prekären Lagen sind die Kinder von Menschen mit niedrigem Einkommen. Diese wachsen in einem Umfeld auf, das düstere Aussichten und Unsicherheit bietet. Laut BFS leben 1’900 Walliser Minderjährige in einem Haushalt, der staatliche Finanzhilfe benötigt, obwohl sich der Kanton auf eine fortschrittliche Familienpolitik beruft. Diese scheint also nicht auszureichen, um die Armut der Kinder zu verhindern. Es ist zudem erwiesen, dass der schulische Erfolg (und damit auch der soziale und berufliche Erfolg sowie die Integration) weitgehend vom Familienumfeld abhängt. Die Armut bei Kindern verstösst gegen den Grundsatz der Chancengleichheit, die in der Bundesverfassung verankert ist. Die Einführung eines Mindestlohns würde die Chancengleichheit für die am stärksten benachteiligten Kinder verbessern.

Das Fehlen von Gesamtarbeitsverträgen beheben

Einige Gegner:innen der Initiative werden behaupten, dass die Einführung eines Mindestlohns nicht in einem Gesetz, sondern in Gesamtarbeitsverträgen (GAV) geregelt werden sollte. Es ist jedoch fest­zustellen, dass im Wallis wie auch in der übrigen Schweiz eine Mehrheit der Arbeitnehmer:innen nicht über einen GAV verfügt. Die Aushandlung eines GAV stellt zudem in vielen Berufsfeldern keine Priori­tät dar. Aus diesem Grund ist die Einführung eines Mindestlohns dringend nötig, damit Personen, die in Bereichen arbeiten, die nicht von den Vorteilen eines GAV profitieren können, einen würdigeren Lohn erhalten.